Nebelkerzen in kräftigem Magenta (Video!)

Die Telekom drosselt DSL-Zugänge.
Diese Meldung schlug Ende April ein wie eine Bombe. Der Shitstorm im Netz war gewaltig, sodass sich sogar der Wirtschaftsminister einmischte und die SPD versprach einen solchen Schritt nach einer gewonnenen Wahl zu verbieten.
Gegenüber der WELT gab nun der Deutschland-Chef der Telekom Niek Jan van Damme ein Interview in dem er die Maßnahmen der Telekom verteidigte.

Was er sagte, was er verschwieg und was das Ganze für uns, die Verbraucher, bedeutet?
Nun ja, wir haben mal versucht uns durch das Dickicht der Nebelkerzen zu schlagen.

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Seit dem 02.05.2013 steht in jedem DSL-Neuvertrag der Telekom, dass der Zugang zum Internet ab einem bestimmten Volumen gedrosselt werden kann.
Was das grundsätzlich bedeutet haben wir schon hier zusammengefasst.

Im Interview mit der WELT beteuerte Niek Jan van Damme nun,
dass die Telekom überzeugt ist „etwas Richtiges zu tun“.

Im Interview mit der WELT beteuerte Niek Jan van Damme nun, dass die Telekom überzeugt ist „etwas Richtiges zu tun“.
Laut seiner Aussage währen bei den jetzigen Volumina nur 3% der Kunden betroffen und die restlichen 97% der Nutzer würden von der Begrenzung und der damit verbundenen Drosselung nicht betroffen sein.
Niek Jan van Damme stellt sogar die Frage „Warum sollen 97 Prozent unserer Kunden dafür bezahlen, dass die restlichen drei Prozent große Mengen Daten bewegen?
Sollte dem so sein, dann dürften 97% der Telekom-Kunden in Zukunft ein bisschen weniger zahlen, da sie nicht mehr die 3% der Nutzer Subventionieren müssen, die große Datenmengen bewegen.
Das ein solcher Schritt allerdings nicht stattfinden wird, gibt das Vorstandsmitglied anschließend zu und wiederspricht sich damit selbst. Die Mehreinnahmen sollen in den Netzausbau fließen.
Diese Aussage ist jedoch etwas problematisch.

In Zeiten von LTE, dass im weit reichenden 800 Mhz-Band bis zu 50 Mbit/s
auch in ländliche Regionen tragen kann,
bleibt der Telekom nichts anderes übrig, als die Leitungen auszubauen.

Grundsätzlich lässt sich natürlich nichts gegen einen Netzausbau sagen. Die Kupferleitungen schaffen derzeit mit ADSL gerade einmal 16 Mbit/s.
VDSL mit 25 Mbit/s gibt es nur, wenn man innerhalb eines 2 km Radius um den Verteilerkasten wohnt. Will man 50 Mbit/s schrumpft der Radius auf dramatische 900 Meter!
In Zeiten von LTE, dass im weit reichenden 800 Mhz-Band bis zu 50 Mbit/s auch in ländliche Regionen tragen kann, bleibt der Telekom nichts anderes übrig, als die Leitungen auszubauen.
Einmalig ist allerdings der nun angekündigte Schritt, sich den Ausbau quasi vorfinanzieren zu lassen. Jegliches unternehmerisches Risiko wälzt die Telekom auf den Kunden ab. Wäre die Telekom noch ein Staatsunternehmen könnte man gegen einen solchen Schritt nichts sagen. Als mehrheitlich privates und gewinnorientiertes Unternehmen ist ein solcher Schritt schon bemerkenswert.

Die Telekom spricht immer wieder von einem Ausbau des Glasfasernetzes.


Auch die Art des Ausbaus ist hoch fragwürdig.
Die Telekom spricht immer wieder von einem Ausbau des Glasfasernetzes. Hierbei wirft die Telekom mit Begriffen wie „Giganetz“ um sich. Mit maximal 200 Mbit/s als Downloadgeschwindigkeit (Downstream) und 100 Mbit/s bei Hochladen (Upstream) ist das Gigabit noch weit entfernt. Faktisch steht in Zukunft einem Gigabit-Anschluss über Glasfaser aber nichts im Weg. Technisch ist das heute schon möglich. Google baut sein Google Fiber – Netzwerk zur Zeit in den USA. 

Bis heute konnte man noch keine theoretische Obergrenze für Datenübertragung durch Glasfaserkabel feststellen.


Bei diesem System legt der Netzbetreiber ein Glasfaserkabel direkt in bis in den Keller eines Hauses. Das Prinzip wird „Fiber-to-the-Home“ (FTTH) genannt. Der Vorteil hierbei ist, dass ein derartiger Ausbau sehr Zukunftssicher ist. Bis heute konnte man noch keine theoretische Obergrenze für Datenübertragung durch Glasfaserkabel feststellen. Die Signale werden optisch, also per Licht, übertragen. Einfach ausgedrückt wird die Geschwindigkeit der Verbindung verdoppelt, sobald der Laser am Ende des Kabels doppelt so schnell blinkt wie vorher. In Deutschland kommen aber bis jetzt nur ganze 29 Gemeinden in den Genuss des „Giganetzes“ der Telekom. Im konzerneigenen Blog spricht die Telekom von 24 Millionen Haushalten, die in Zukunft  von der neuen Technik profitieren sollen.

Im Gegensatz zu Google in den USA setzt die Telekom auf so genanntes Vectoring.
Im Prinzip ist Vectoring nur eine Verbesserung von VDSL. 

Ist das also der große Netzausbau der Telekom?
Grundsätzlich ja.
Doch auch hier gibt es ein großes „Aber“. Die Telekom spricht gern davon, dass sie das neue Glasfasernetz ausbauen will. Der ganz normale Mensch stellt sich nun also vor, dass die Telekom quer durch Deutschland neue Kabel legen muss.
Das Bild an sich ist aber nicht korrekt.
Das Langstrecken-Netz der Telekom besteht seit je her aus Glasfaser. Einzig die Strecke vom Verteilerkasten bis in die Wohnung müsste nun also gebaut werden um die fantastische Leistung von 1 Gbit/s zu erreichen.
Fraglos ist auch eine solche Methode teuer, doch die Telekom baut nicht nach dem FTTH-Prinzip aus.
Im Gegensatz zu Google in den USA setzt die Telekom auf so genanntes Vectoring. Im Prinzip ist Vectoring nur eine Verbesserung von VDSL. Statt die Glasfaserkabel direkt zum Kunden zu legen werden nur Kableverzweiger in der Nähe von mehreren Häusern aufgestellt und per Glasfaser angeschlossen. 

Telekom Deutschland-Chef Niek Jan van Damme Quelle: http://www.telekom.com/static/blob/34780/5/portrait-van_Damme_463x285.jpg

Zusammengefasst besteht der große Netzausbau also aus dem Bau von Glasfaserleitungen vom Verteiler bis zum neuen Verzweiger.

Die Leitung ins Haus bleibt also eine Kupferleitung. Diese kann durch Vectoring nur entstört werden und schafft damit bis zu 100Mbit/s.
Jüngst feierte die Telekom in ihrem eigenen Blog, dass die Bundesnetzargentur einen Entwurf für eine Genehmigung von Vectoring veröffentlichte.
Zusammengefasst besteht der große Netzausbau also aus dem Bau von Glasfaserleitungen vom Verteiler bis zum neuen Verzweiger. Dieser soll aber ein System nutzen, das Vectoring, dass die Leitung entstört und so eine bessere Verbindung ermöglicht. Dumm nur, dass das Verfahren bis heute noch gar nicht genehmigt ist.

Zurück zu Niek Jan van Damme und den 3% der Datenjunkies.
Laut René Obermann, seines Zeichens Vorstandsvorsitzende der Telekom, nutzen diese 3% ganze „10 – 20 Mal  größere Datenmengen als ein durchschnittlicher Kunde, der ca. 15 – 20 Gigabyte/Monat verbraucht“.
Die Zahlen können nicht abgestritten werden, aber die Telekom verschweigt die Grundmenge der Kunden, die sie zur Berechnung der 3% angesetzt haben.

Der Durchschnittsnutzer im Schreiben des Vorstandsvorstzenden Obermann kommt also im Jahr 2016
 laut dem Deutschland-Chef van Damme durchaus in Bedrängnis, wenn die 75 GB-Grenze erhalten bleibt.

Fragen, ob mit „Kunden“ nur Privatkunden oder auch Unternehmen, Behörden etc. gemeint sind bleiben offen.
Wichtig in dieser Aussage ist allerdings die Größenordnung von „15 – 20 Gigabyte/Monat für einen Durchschnittsnutzer.
Niek Jan van Damme gesteht gegenüber der Welt nämlich ein, dass Experten erwarten „dass sich die Datenmengen bis 2016 vervierfachen.
Der Durchschnittsnutzer im Schreiben des Vorstandsvorsitzenden Obermann kommt also im Jahr 2016 laut dem Deutschland-Chef van Damme durchaus in Bedrängnis, wenn die 75 GB-Grenze erhalten bleibt.
Im Interview lässt der Holländer aber dann dennoch ein wenig Freiraum für höhere Volumina, da die Telekom „die Datenentwicklung genau analysieren und den Kunden attraktive Angebote machen“ will.

Natürlich fragt die Welt auch nach dem Vorwurf die Netzneutralität zu verletzen und sich mit dem eigenen Entertain selbst zu bevorzugen.
Niek Jan van Damme vertritt allerdings die Meinung, dass Entertain kein Internet-Dienst ist, sondern Fernsehen, dass nur über die Internetleitung übertragen wird. Immerhin zahlten die Kunden ja zehn Euro im Monat für den Dienst.
Auf die Anmerkung seitens der Welt, dass Kunden auch für andere Video-Dienste Geld bezahlen antwortet der Manager ein wenig ausweichend.

Einmal gedrosselt wird jeder Nicht-Entertain-Videodienst schlichtweg unbrauchbar.

Diese Dienste könnten ja, ähnlich wie Spotify mit der Telekom zusammenarbeiten um aus dem Volumen herausgerechnet zu werden.
Damit würden die Unternehmen auch direkt den Netzausbau vorantreiben.
Mir persönlich ist bei der Aussage die Kinnlade auf die Tastatur geknallt.
Die Telekom erwartet also wirklich eine Kooperation mit Konkurrenten. Kooperation ist allerdings zu nett gesagt.
Die Konkurrenz soll quasi einen Netzzoll entrichten, um ihren Dienst im vollen Umfang auch Telekomkunden anbieten zu können.
Bei 4-6 GB pro Spielfilm hat man schnell sein Volumen von 75GB zusammen. Vor allem, da Youtube, E-Mails, Facebook etc. ja noch dazu kommen. Einmal gedrosselt wird jeder Nicht-Entertain-Videodienst schlichtweg unbrauchbar.

Doch das Interview birgt noch eine zweite brisante Aussage.
Bekannt ist, dass die Telekom alle ihre Telefonverbindungen bis 2018 über das Internet ableisten will.
Hierzu müssen die Kunden aber neue Verträge abschließen und damit werden auch Bestandskunden bis 2018 genötigt sein die neuen Tarife samt Volumengrenzen und Drosselung zu akzeptieren.
Der Telekom Deutschland-Chef wiegelt im Interview aber ab und betont, dass bis 2018 ja ganz andere Tarife im Angebot sein werden.

Viel gemeiner ist aber, dass Obermann nicht den Dienst Videoload nennt, sondern die Web-Plattform Videoload.de.

Tröstlich ist das für Telekomkunden nicht.
René Obermann wirft aber die nächste Nebelkerze. In seinem Schreiben an Wirtschaftsminister Rösler beteuert er, dass auch die Telekom die Netzneutralität bewahren will. Das könne man ja daran erkennen, dass „Die Internetdienste der Telekom, wie Videoload.de, Telekom-Cloud und andere“ auch in das Volumen hineinzählen.
Hierbei sind zwei Sachen sehr bemerkenswert.
Zum einen hat die Logik in dieser Aussage einen Knick. Nur weil ein Dieb keine alten Frauen überfällt, kann er auch ein Dieb sein. Darauf zu verweisen, dass er aber keine alten Frauen überfallen würde, ist vor Gericht wohl eher nicht strafmindernd.
Viel gemeiner ist aber, dass Obermann nicht den Dienst Videoload nennt, sondern die Web-Plattform Videoload.de.
Das Pikante ist, dass der Dienst in Entertain integriert ist. Entertain-Kunden greifen direkt über Entertain auf Videoload zu und nicht über Videoload.de.
Nun, da das System noch bis 2016 nicht aktiv sein wird, können wir natürlich nichts beweisen, aber die Formulierung lässt Obermann viel Handlungsspielraum um Videoload für Entertain eben doch aus dem Volumen zu entfernen.
Ich für meinen Teil bin kein Telekom-Kunde mehr und werde das wohl auch in absehbarer Zukunft nicht mehr werden.

Update 08.05.2013: Rechtschreibung geprüft durch Christian Rieseberg

Quellen:
Interview der WELT
Brief an Herrn Rösler

2 Gedanken zu „Nebelkerzen in kräftigem Magenta (Video!)

  1. Der Artikel ist nicht nur informativ und interessant, sondern wirkt kompetent. Die lockere Schreibe gefällt mir. Gut für Nicht-Technikfreaks.

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  2. Pingback: Google I/O Extended (live!) | thetechnologicals

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