Frau Bundeskanzlerin, Sie töten das Internet!

Angela Merkel beim digitising europe summit.

Angela Merkel beim digitising europe summit.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
Sie töten das Internet.

Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie traurig ich darüber bin, hier in Deutschland, über so essentielle Themen der Freiheit tatsächlich zu diskutieren.
Wie Sie vielleicht schon erahnen, schreibe ich Ihnen, aufgrund Ihrer vor kurzem getätigten Aussagen zur Netzneutralität und so gennannten „Spezialdiensten“.
Ich verstehe die Angst und kenne die Argumente der Netzbetreiber und will Ihnen hier argumentativ eine Gegenposition und Alternativen bieten.

 

Seit 25 Jahren regelt perfektes Chaos das Internet.

Doch zu Anfang möchte ich Ihnen gerne darlegen, warum mir so viel an diesem Thema liegt. Die Netzneutralität, also die Gleichberechtigung aller Daten im Internet, ist seit 25 Jahren das Grundprinzip, nachdem sich der Datenverkehr im Internet ordnet und strukturiert. Es ist ein absolut chaotisches System, doch es versichert, dass niemand den Besitz über die Netze ausnutzen kann, ohne das komplette Netz abzuschalten. Die Netzneutralität ist ein Grundstein zur Innovationskraft von jungen, internetbasierten Unternehmen und sichert zudem die Freiheit aller Meinungen im Netz zu.
Auch für die Wirtschaft in der „alten“ Welt ist die Netzneutralität von höchster Wichtigkeit. Der schnelle Austausch und die sofortige Verarbeitung von Daten ist für Unternehmen, wie beispielsweise Banken, essentiell wichtig um ihren Geschäften nachgehen zu können. Die Netzneutralität sichert hier zu, dass sich niemand auf diesem Feld einen Vorteil verschaffen kann und so einen unlauteren Wettbewerb führt.
Die Netzneutralität sichert also zu, dass alle die gleichen Chancen haben und sich niemand einen Vorteil erkaufen kann.

 

„Spezialdienste“ hören sich super an, aber es gibt Alternativen

Nun ist mir durchaus bewusst, dass Ihr Vorschlag zu „Spezialdiensten“ nicht vorsieht diese Grundregel komplett abzuschaffen. Die Sorge, die aufkommt ist, dass in Notsituationen, in denen die Netze von vielen Nutzern gleichzeitig ausgelastet werden kritische Informationen nicht so schnell an ihr Ziel gelangen, wie es zu diesem Zeitpunkt notwendig wäre. Dies kann beispielsweise bei Katastrophen der Fall sein. Im normalen Betrieb bestehen Engpässe nämlich nur auf der „letzten Meile“, also dem Anschluss des Empfängers an das Glasfasernetz, auch Backbone genannt.
Ein solches Problem ließe sich allerdings relativ einfach beheben, indem man beispielsweise Krankenhäuser direkt per Glasfaser an das Backbone anbindet und nicht über einen Verteilerkasten und ein Kupferkabel.
Doch selbst bei der Annahme, dass in einer kritischen Situation das komplette Backbone „verstopft“ wäre, gäbe es noch einfachere Lösungsansätze, als das Aufheben der Netzneutralität. So könnte man kritische Einrichtungen direkt miteinander verbinden, ohne den Zugang zum Internet. Dies ist in der Tat eine sehr kostenintensive Lösung, aber auch die sicherste aller Ansätze. Bei einer solchen Lösung wäre nicht nur die Netzneutralität im Internet gesichert, sondern auch die Datensicherheit der sensiblen Daten, deren Wichtigkeit so hoch ist, dass sie im Krisenfall nicht im „Stau“ des Internets stecken bleiben dürfen. Auch für diese, teilweise überlebenswichtigen Daten trifft der Grundsatz zu, dass keine Verschlüsselung unknackbar ist. In einem in sich geschlossenen Netz müsste ein Angreifer aber physischen Zugriff auf dieses Intranet haben. Diese Lösung wäre also teuer, aber sicher in Bezug auf Leistung, Geschwindigkeit, Stabilität, auch bei Stromausfall und Überwachung durch Dritte.


 Die Netzbetreiber müssten den Datenverkehr überwachen.

Völlig unbeachtet dieser alternativen Lösungsansätze gibt es auch handfeste Argumente gegen das Aufheben der Netzneutralität.
Um gewisse Daten zu bevorzugen, müssen diese Datenpakete erst einmal identifiziert werden. Im schlechtesten Fall würde also der Netzbetreiber den kompletten Datenverkehr überwachen und auswerten, um überhaupt entscheiden zu können, welche Verbindung jetzt Vorrang hat. Hierzu dürfte speziell die Erhebung von Meta-Daten unerlässlich sein, die über ihre Besitzer sogar noch mehr aussagen, als die eigentlichen Inhalte der meisten Datenpakete.
Eine weitere Sorge, die nicht nur mich, sondern auch viele meiner Bekannten umtreibt, ist die Richtung in die eine Einführung von Spezialdiensten zeigt. Sie gehen aktiv auf eine Zukunft zu, in denen Netzbetreiber ihre Macht ausnutzen können, um spezielle Dienste zu bevorzugen.

 

Die Pläne sind lebensbedrohlich für deutsche Startups.

Für gut verdienende Unternehmen, die sich bereits etabliert haben, dürften eventuell zusätzlich anfallende Kosten für eine „Vorfahrtsstraße“ kaum merkbar sein. Auch die meisten Privathaushalte sollten von einer Auflösung der Netzneutralität anfangs kaum etwas merken. Lebensbedrohlich wären solche „Vorfahrtsstraßen“, die Sie nun vorschlagen, aber für junge Internetunternehmen.
Hier wird ihr Plädoyer für mich auch persönlich. Ich selbst arbeite mit zwei weiteren Kollegen an einem eigenen Unternehmen und bin mit meinen 24 Jahren der Älteste im Team. Für junge Unternehmen, wie uns, ist es überlebenswichtig die monatlichen Kosten so gering wie möglich zu halten und trotzdem ebenso gut erreichbar im Internet zu sein, wie die große Konkurrenz.
Ein einreißen der Netzneutralität hätte massive Auswirkungen darauf, wer im Internet Chancen bekommt sich durchzusetzen. Tolle deutsche Unternehmen und Ideen, wie beispielsweise 6Wunderkinder, die mit ihrem Produkt „Wunderlist“ weltweit Anerkennung und Investitionen sammeln, wären ohne die Netzneutralität eventuell nicht möglich gewesen. Das junge Unternehmertum im Internet ist in Deutschland zwar noch immer in den Kinderschuhen, doch es wächst ständig. Diesen hochlebendigen Markt so zu regulieren, dass sich etablierte Kräfte eventuell die Vorfahrt erkaufen können, halte ich für absolut unverständlich und schädlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

 

Nicht mehr die beste Idee, sondern die tiefste Tasche setzt sich durch.

Im Mobilfunkbereich sehen wir bereits bei der deutschen Telekom, wie eine Zukunft ohne Netzneutralität aussehen könnte. So bevorzug die Telekom den Musikstreaming-Anbieter Spotify. Kunden der Telekom können, falls sie den Premiumzugang bei Spotify direkt über die Telekom bestellen, Musik hören, ohne dass sich das Streaming auf das monatliche Datenvolumen auswirkt. Dies ist eine klare Bevorzugung von Spotify seitens der Telekom. Solche Praktiken verhindern, dass andere Konkurrenten, wie das Kölner Startup Simfy, eine faire Chance am Markt erhalten. Ein Wegfall der Netzneutralität bedeutet, dass sich nicht mehr die besten Ideen durchsetzen, sondern die Unternehmen, die die reichsten Investoren und besten Beziehungen zu den Netzbetreibern haben.

Es gehört zur unternehmerischen Pflicht der Netzbetreiber
in ihr eigenes Produkt zu investieren.

Die Haltung der Netzbetreiber ist kurzfristig natürlich einleuchtend. Diese Unternehmen gewinnen durch den Wegfall der Netzneutralität unheimlich an Macht und Einfluss. Eine spezielles „Premiumangebot“ dürfte auch zusätzliches Geld in die Kassen spülen, welches die Netzbetreiber laut eigener Aussage zum Netzausbau benötigen. Ich kann eine solche Argumentation als Unternehmer nachempfinden, aber nicht nachvollziehen. Unternehmer tragen Risiken, das zeichnet den Unternehmer aus. Es ist diese Ungewissheit, die einen Angestellten vom Unternehmer unterscheidet. Die Netzbetreiber sollten, wie alle anderen Unternehmer auch, ihre Gewinne in das eigene Produkt reinvestieren. Für ein Aktienunternehmen, welches erst relativ spät von den massiven Investitionen auch profitiert, mag das schwierig sein, doch wer solche Investitionen nicht tätigen will, hat meiner Meinung nach auch kein Anrecht auf den daraus entstehenden Gewinn.

 

Die jetzige Haltung wirkt wie von Lobbyverbänden vorgegeben.

Ich hoffe Sie verstehen meine Beweggründe, Ihnen hier auf diesem Weg zu schreiben und lassen meine Gedanken in ihren Entscheidungsfindungs-Prozess einfließen. Zurzeit vermitteln Sie in meinen Augen nämlich eher den Eindruck, als wenn Sie sich ausschließlich von der Lobby der Netzbetreiber informieren ließen.

Vielen Dank für ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Leonard Mühring

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s