Editorial: Netzneutralität in den USA – Was passiert, was sind die Argumente und warum betrifft es uns.

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Wir haben uns auf dieser Seite schon mehrfach dem komplexen Thema der Netzneutralität gewidmet. In den USA ist das Thema nach zwei Jahren der Ruhe wieder aufgebrauchen. Was genau passiert, wer auf welcher Seite steht und warum es für uns wichtig ist so knapp aber präzise wie möglich.

Was ist Netzneutralität

Der Begriff der Netzneutralität ist ein komplizierter. Er klingt so attraktiv wie 5 Stunden Bundestagsdebatte auf Phönix, ist aber die Grundlage dafür, wie das Internet das letzte Vierteljahrhundert funktioniert hat. Grundsätzlich besagt die Netzneutralität, dass alle Daten im Netz gleichwertig behandelt werden müssen.  Das bedeutet, dass eine Email von jedem von uns auf der Datenautobahn nicht kurz anhalten muss, weil Frau Merkel eine Email schreibt, oder ein Video von Netflix besser gestreamed wird als eines von YouTube.
Wer es genauer wissen möchte kann sich gerne unseren Artikel zum Thema durchlesen. Dort haben wir auch ein kurzes Erklärvideo eingebunden.

Was passiert in den USA?
Die USA sind noch immer einer der größten Märkte, wenn es um Internetverbindungen geht.
Die Behörde, die sich als Regulierungsbehörde ansieht ist die FCC, die Federal Communication Commission. Diese hatte 2015 einen Beschluss gefasst, dass die Inhaber der im Boden liegenden Internetleitungen als „Common Carrier“ anzusehen sind, praktisch einem Äquivalent zu deutschen Versorgungsunternehmen. Hierbei fallen die Unternehmen unter besondere Regelwerke, da sie niemanden bevorzugen dürfen. Genauer gesagt, wurden die Breitbandanbieter als Telekommunikationsunternehmen eingestuft, was sie in das strengere Regelwerk drückt. Bis 2015 galten die Breitbandanbieter, wie Comcast und Verizon, als Informationsservice-Unternehmen, die deutlich mehr Freiheiten genießen.
Eine neue Klassifizierung der Unternehmen durch die FCC war nötig geworden, da Verizon gegen die vorher bestehende Regelungen, als Informationsservice-Unternehmen, geklagt hatte und vor Gericht gewonnen hatte.
Nach der Wahl im letzten Jahr, ist aber Donald J. Trump der Präsident der Vereinigten Staaten. Dieser ernannte den Republikaner Ajit Pai zum Vorsitzenden der FCC, der bereits durch Obama 2012 in den Vorstand der FCC gerückt war. Traditionell ist es so, dass das 5er-Germium paritätisch zwischen Demokraten und Republikanern besetzt ist und der Vorsitzende vom Präsidenten bestimmt wird.
Pai ist ehemaliger Mitarbeiter von Verizon, einem der größten Breitband-Anbieter der USA und ein erbitterter Gegner der Regelungen, die 2015 unter Obama eingesetzt wurden.
Der neue FCC-Chef will die Regeln nun erneut ändern.

Welche Argumente hat er dafür, welche sprechen dagegen?
FCC-Chef Ajit Pai hat in den letzten Wochen mehrere Argumente für seine Initiative gegen die erst vor 2 Jahren beschlossene Regelung preisgegeben. Zur Netzneutralität ließ er sich mehrfach schon mit dem Satz „a solution that won’t work, to address a problem that doesn’t exist.“, also „einer Lösung, die nicht funktioniert zu einem Problem, das nicht existiert“, zitieren.
Diese generelle Ansicht unterfüttert er mit mehreren einzelnen Argumenten, die nicht immer ganz unumstritten sind.

  1. So seien die Investitionen in den Breitbandausbau seit der Einführung der neuen Regelungen abgesackt. Dies seine direkte Folge daraus, dass die Behörden das Internet nun „micromanagen“ würden.
    Bei dieser Begründung ist schlichtweg irreführend.
    Pai stützt sich bei dieser Aussage auf die Zahlen aus einem Jahr. Da die letzte Entscheidung 2015 gefallen ist bleiben nur die Zahlen von 2015 und 2016 um das Investitionsvolumen zu analysieren. Zwei Jahre sind schlichtweg zu wenig um einen Trend in einer Branche zu erkennen. Guckt man allerdings nur auf die Zahlen von 2015 und 2016 hat Pai Recht. Die Investitionen in den Breitbandausbau sind um rund 3% gesunken. Neben den neuen Regeln gibt es allerdings auch alternative Erklärungsvorschläge. So übernahm einer der größten Anbieter, AT&T, gleich zwei Konkurrenten und schloss ein Investitionsprogramm ab. Da AT&T gleichzeitig der größte Anbieter ist und 30% der Gesamtinvestitionen ausmacht sind kleine und angekündigte Schwankungen stark in der Gesamtstatistik vertreten.
    Das wohl größte Gegenargument gegen die Ansicht des FCC-Chefs kommt von den Chefs der Breitbandanbieter selbst. Alle großen Firmen haben gegenüber ihren Aktionären bestätigt, dass die Title II-Klassifikation von 2015 ihnen und ihren Investitionsplänen nicht schadet. Die Unternehmen sind verpflichtet ihren Aktionären nur die Wahrheit zu sagen.
  2. Ein weiteres Argument von Pai ist, dass seine Behörde, die FCC, die Neuklassifizierung falsch begründet und sich so noch mehr Macht sichere. Die Entscheidung von 2015 würde keine speziellen Verhaltensweisen von Unternehmen angreifen und keines der Unternehmen hätte sich bis dahin falsch verhalten. Er sähe also überhaupt keine Veranlassung eine neue Klassifizierung anzusetzen. Anstatt einer generellen Einschränkung von dem was ein Unternehmen in einem freien Markt mit seinem Produkt machen kann und was nicht, möchte Pai lieber die Unternehmen einzeln verfolgen, die sich marktschädigend verhalten.
  3. Pai liegt falsch in der Annahme, dass die FCC nicht hätte handeln müssen. Durch eine Gerichtsentscheidung, die die Nummer zwei auf dem Markt, Verizon, erwirkte, musste die FCC ein neues Statut für die Regulierung entwerfen.
    Er hat allerdings Recht, dass es bis 2015 keine massiven Eingriffe in die Netzneutralität oder die Rechte von Kunden gegeben hat.
  4. Pai führt zudem immer wieder an, dass es mit der FTC (Ferderal Trade Commission) die den Handel in den USA überwacht, bereits eine Behörde gibt, die unrechtmäßiges Verhalten von Unternehmen prüfe.
    Hier hat Pai komplett Recht, wenn es um marktschädigendes Verhalten geht. Kunden müssen allerdings selbst gegen den Breitband-Anbieter vorgehen, wenn dieser Regeln verletzt. Die jetzige Regelung ermächtigt die FCC einzuschreiten, sodass der Endnutzer geschützt wird.
  5. Ein weiteres Problem sei, dass die FCC keine exakten Regel für Internetanbieter definiert habe, sondern von einem „generellen Umgang“ mit dem Internet gesprochen habe. So hätte T-Mobile, die US-Tochter der Deutschen Telekom, es seinen Kunden ermöglicht Videos bestimmter Anbieter zu schauen, ohne, dass die anfallenden Daten gegen das persönliche Datenlimit zählen würde. Da es nicht genau spezifiziert war, ob dies unter den neuen Regeln erlaubt war oder gegen den „generellen Umgang“ verstieß, hatte die FCC die selbst erschaffene Macht das Produkt zu prüfen.
    Dies ist im Endeffekt der Verbraucherschutz, den die FCC eingeführt hat und den wir bereits beim vorherigen Argument angeführt haben.
  6. Der FCC-Chef setzt ebenfalls auf den Wettbewerb der Unternehmen, der verhindern soll, dass sich Produkte oder Verhaltensweisen am Markt etablieren, die die Kunden nicht mögen. Er wolle lieber dafür sorgen, dass der Mark funktioniere, anstatt ihn „mit strengen und eng gefassten Regularien zu limitieren“.
    Guckt man sich die Karte der USA an und wo man welchen Breitbandanbieter nutzen kann, dann wird jedem schnell bewusst, dass viele Amerikaner kaum eine Wahl zwischen mehreren Anbietern haben. Es gibt in weiten Teilen des Landes schlicht keinen Markt mit einer ausreichenden Zahl an Unternehmen, die um Kunden werben müssen. (Siehe Bilder)
  7. Pai gab bekannt, er glaube zudem, dass die USA sich, besonders im Vergleich zu Europa, die die Breitbandleitungen schon lange stark regulieren, gut dar stehe. Besonders, da die US-Unternehmen mehr als doppelt so viele Investitionen in das Netz tätigen als ihre europäsichen Konkurrenten.
    Die Aussage, dass es mehr Investitionen in den USA gibt sind richtig. Nicht zu vergessen ist aber, dass die USA eine deutlich geringere Bevölkerungsdichte haben. In den USA leben nur 27 Menschen pro Quadratkilometer, in der EU fast 120. Unternehmen in der EU können also mit deutlich geringeren Investitionen mehr Menschen mit neuer Technik erreichen.

Wer will kann hier noch ein weiteres Interview mit Pai lesen.

Warum ist es wichtig und betrifft auch uns?
Insgesamt stehen die USA vor einer Kehrtwende, wenn es um die Netzneutralität geht. Die Breitbandanbieter dürfen in ihren eigenen Netzen mehr machen als bisher und sind nichtmehr an die Regeln der Netzneutralität gebunden, sollte Ajit Pais Vorschlag die Abstimmungen am 14.12. gewinnen. Dies steht allerdings so gut wie außer Frage.
Viele US-Anbieter sind mittlerweile nicht mehr nur Internetanbieter, sondern haben auch Medienunternehmen gekauft.
Verizon hat mit Oath ein Tochterunternehmen wo Yahoo, AOL und die Huffington Post untergebracht sind.
Comcast will Time Warner kaufen und hat mehrere Anteile an Medienunternehmen gekauft und auch AT&T hält große Teile von Medienunternehmen.
Die Angst der Netzneutralitätsbefürworter ist simpel. Die Breitbandanbieter könnten ihre Inhalte und Fernsehsender kostenlos oder günstiger für ihre Kunden anbieten und andere besonders kleinere Anbieter benachteiligen.

Auch hier in Deutschland sehen wir solche Tendenzen.
Sowohl die Telekom als auch Vodafone haben ihre eigenen Entertainment-Sparten, dürfen diese allerdings, aufgrund von EU-Regularien, nicht bevorzugen. Wir Europäer sind also vorerst sicher, doch es dürfte nur eine Frage der Zeit werden, bis es neue Initiativen gibt um das Regelwerk anzupassen.
Die jetzige Entscheidung der FCC könnte allerdings, wie schon die Entscheidung zuvor, nicht von langer Dauer sein. Schon 2020 wählen die USA erneut und falls es einen neuen Präsidenten geben wird können sich die Regeln auch wieder verändern, bis der Congress ein passendes Gesetz verabschiedet. Bis dahin haben schon mehrere Gruppen angekündigt gegen die Entscheidung von Ajit Pai zu klagen. Es bleibt also spannend.

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